Die Einbeziehung von Erfahrungsexperten in die Behandlung von Menschen mit psychischer Erkrankung ist aus Fachkliniken für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik nicht mehr wegzudenken. Der Begriff EX-IN, Experienced Involvement ausgeschrieben und aus dem Englischen mit Einbeziehung Erfahrener übersetzt, steht in diesem Zusammenhang für ein 2005 von der Europäischen Union aufgelegtes Modell. Dieses basiert auf der Überzeugung, dass Menschen, die selbst psychische Krisen durchlebt haben, ihre persönlichen Erfahrungen nutzen können, um andere Menschen in ähnlichen Situationen zu unterstützen und ihnen Hoffnung zu vermitteln.
Als EX-IN-Genesungsbegleiter beispielsweise in Fachkliniken tätig zu sein, bedeutet, die eigenen Erfahrungen und Bewältigungsstrategien zu reflektieren und diese aktiv in die Behandlung einzubringen.
Seit 2012 arbeitet das Alexianer St. Joseph-Krankenhaus Berlin-Weißensee mit Genesungsbegleitern. Ein erster angehender Erfahrungsexperte leistete im Rahmen seiner EX-IN-Ausbildung ein Praktikum auf der Station 5. Sukzessive wurden Praktikanten auch auf anderen psychiatrischen Stationen eingesetzt. In den ersten Jahren lag ihre Zahl bei drei bis fünf Praktikanten pro Jahr.
Fest angestellte Genesungsbegleiter beschäftigt das Krankenhaus seit 2014. Derzeit besteht das Team aus sechs Erfahrungsexpertinnen und -experten. Eine von ihnen ist Christine Förster, die auf der Station 2 tätig ist. Die 52-Jährige hat der Alexianer Zeitung über ihren Beruf berichtet:
Was hat Sie dazu bewogen, eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin zu absolvieren?
Im Rahmen einer Informationsveranstaltung über Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen zu unterschiedlichen psychischen Herausforderungen wurden die Arbeit als Genesungsbegleiter und die Ausbildung als EX-IN vorgestellt. Damals war ich nach meiner Rückkehr als Entwicklungshelferin in Afrika auf der Suche nach einer neuen Perspektive, die ich in der wichtigen Arbeit als Erfahrungsexperte in medizinischen und sozialen Einrichtungen erkannte.
Was zeichnet die Erfahrungsexperten aus und wie hat sich Ihre Rolle mit der Ausbildung verändert?
Da ich in meiner Vergangenheit selbst die Erfahrung einer psychischen Krise gemacht und auch stationäre Aufenthalte erlebt hatte, konnte ich mich schon während meiner Ausbildung sehr gut in der Lage der Patienten einfühlen. Im Verlauf war es für mich besonders interessant, mich in eine andere Rolle – als Unterstützerin, Helferin und Begleiterin – einzuleben. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass sich die Patienten mir gegenüber sehr unbefangen und offen zeigen können und dass ich auch für das Fachpersonal eine Bereicherung bin.
Wie sieht Ihre Arbeit in der Praxis aus?
Ich sehe meine Arbeit als Brücke zwischen den Patienten und meinen Fachkollegen. Die Beratung und Begleitung, für den Menschen da zu sein und ihm das Gefühl zu vermitteln, dass es sich zu leben lohnt, ist mein Anliegen. Auch in der schwersten psychischen Krise ist die Hoffnung auf Genesung zu erkennen. Und diese möchte ich vermitteln. Für mich steht die Genesung im Vordergrund, nicht die Erkrankung. Praktisch sieht meine Arbeit so aus, dass sie mit Morgenspaziergängen beginnt, in denen das zwanglose Gespräch im Vordergrund steht, wobei dieses beispielsweise auch bei Gesellschaftsspielen oder in ähnlichen Situationen entstehen kann. Entscheidend ist es, eine Vertrauensbasis aufzubauen. Ich versuche immer, auf die individuellen Bedürfnisse einzugehen und den Patienten das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind und ich mich wirklich in ihre Situation einfühlen kann. Es ist mir ein Anliegen, die Patienten wieder dahin zu bringen, ihre Ressourcen zu erkennen, und ihnen zu vermitteln, wie sie Stück für Stück wieder Verantwortung für sich selbst übernehmen und natürlich auch gut für sich sorgen können. Hier steht die Motivation der Patienten stark im Vordergrund. Fragen wie beispielsweise „Was machst du gerne? Was bereitet dir eine Freude? Was tut dir gut?" können helfen, um sich Gutes und Positives wieder in Erinnerung zu rufen.
Ich biete wöchentlich vier verschiedene Gruppen an – eine Kreativ-, eine Musik-, eine Entspannungs- und eine Bewegungsgruppe.
Wie sind Sie an das Behandlungsteam angebunden?
Die Einbindung in das Team ist sehr wichtig. An Übergaben, Visiten, Teammeetings und Supervisionen nehme ich teil. Ich wurde sehr gut aufgenommen und erfahre eine riesige Unterstützung und immer ein offenes Ohr. Unser sehr verlässliches Team achtet darauf, dass es den Einzelnen gut geht. Ich lerne sehr viel von meinen Kollegen und bin sehr dankbar für ihre Anregungen und ihren Erfahrungsschatz. In der Arbeit als Genesungsbegleiterin habe ich meine Berufung gefunden. Ich bin sehr glücklich, Teil eines Teams im Alexianer St. Joseph-Krankenhaus zu sein.